Die Songline (oder wie ich sie lieber nenne: Traumpfade) gehört zu den beeindruckendsten erzählerischen Orientierungssystemen der Welt, denn sie verbindet Naturbeobachtung, Erinnern, gemeinsames Singen und eine zutiefst poetische Form des Navigierens. In der Natur- und Wildnispädagogik haben Traumpfade längst einen Platz als kreative Übung, die Sprache, Wahrnehmung und Teamarbeit stärkt gefunden.
Doch bevor wir eigene Traumpfade gestalten, lohnt sich ein Blick auf den Ursprung, sowie auf die Frage, wie wir solche Übungen respektvoll nutzen können.
Was ist Songline? Ein kurzer Blick auf den Ursprung
In der Kultur der australischen Aboriginal Peoples beschreibt eine Songline (oft auch Dreaming Tracks genannt) einen Weg, der sich über Landschaften erstreckt, als einprägsame Geschichte. Es kennt sich jede*r von uns den Liedtext von seinem*ihren Lieblingslied. Genau dieses Prinzip liegt einer Songline zugrunde. Wer einen Song kennt, kann einem komplexen Weg folgen: von Wasserstelle zu Wasserstelle oder von einem markantem Felsen zu einem heiligem Ort. Die Lieder enthalten geografische Orientierungspunkte, Hinweise auf Ressourcen und spirituelle Bedeutungen. Es handelt sich nicht um bloße Wegbeschreibungen, sondern um ein über Generationen gewachsenes Wissenssystem, eingebettet in kulturelle, soziale und spirituelle Kontexte.
Kulturelle Sensibilität: Warum ein kritischer Blick wichtig ist
Die Songline ist kulturelles Erbe und Teil lebendiger Traditionen indigener Gemeinschaften. Es ist wichtig offen über die Ursprünge, den Aspekt der kulturellen Aneignung und die damiteinhergehende Verantwortung zu sprechen. Wenn du dazu mehr erfahren möchtest empfehle ich dir diesen Artikel von Farn.
Ich bevorzuge den Begriff „Traumpfade“, weil er die kreative, poetische Dimension betont und weil er für Teilnehmende leichter zugänglich ist, denn er verdeutlicht viel besser, worum es in der pädagogischen Praxis wirklich geht: die Wahrnehmung zu schärfen, Natur zu lesen und Wege in Geschichten zu verwandeln.
Traumpfade anleiten: Schritt-für-Schritt
1. Einführung
Erkläre den Hintergrund der Übung: Wir erstellen heute eigene Traumpfade, die sich an der Idee der Songlines orientieren. Besprecht gemeinsam: Welche Elemente der Landschaft fallen uns überhaupt auf? Wie können wir Bilder, Sprache oder Rhythmus nutzen, um Wege zu beschreiben?
Euer Ziel: Die Gruppe soll verstehen, dass poetische Sprache zum Kompass wird.
2. Auswahl eines Zielortes
Kleingruppen (4–6 Personen) wählen einen Ort in der direkten Umgebung (max. 50 m entfernt). Zum Beispiel eine auffällige Wurzel, ein Baum mit besonderer Form, ein Felsen, eine Geräuschquelle (raschelnder Busch, plätscherndes Wasser) oder ein Lichtspiel. Dieser Punkt wird das Ziel ihres Traumpfades.
3. Entwicklung des Traumpfads
Nun beginnt die kreative Phase: Die Gruppe erfindet eine symbolische, poetische Wegbeschreibung.
Wichtig:
Es sollen keine Kilometerangaben oder keine Himmelsrichtungen benutzt werden, stattdessen sollen Sprachbilder, Geräusche und Symbole benutzt werden: „Finde den Baum, der sich verneigt – dort beginnt der Schatten des Riesen.“ „Wenn du den Duft des feuchten Mooses spürst, bist du richtig.“
Der Weg kann ein Lied, ein Gedicht, eine Geschichte oder eine Sequenz aus Symbolen sein.
4. Präsentation
Jede Gruppe trägt ihren Traumpfad vor – gesungen, rhythmisch oder erzählerisch. Danach wird der Text an eine andere Gruppe weitergegeben.
5. Auf den Spuren der Traumpfade
Jetzt beginnt die Erkundung, in dem die Gruppen den poetischen Hinweisen folgen und versuchen, den Zielort der anderen zu finden. So wird die Natur zur Karte.
6. Reflexion
Sprecht zum Abschlus gemeinsam über euer Erlebnis: Welche Bilder haben besonders geholfen? Wo entstanden Missverständnisse und warum? Wie verändert poetische Sprache unsere Wahrnehmung?
Fazit: Warum Traumpfade so wirksam sind
Die Übung Traumpfade ist weit mehr als ein spielerischer Gang durch die Natur. Sie öffnet einen Erfahrungsraum, in dem Wahrnehmung, Kreativität und Zusammenarbeit auf einzigartige Weise zusammenspielen. Während die Teilnehmenden Gerüche, Geräusche, Formen und Licht bewusst wahrnehmen, lernen sie, ihre Umgebung differenzierter und achtsamer zu betrachten. Die symbolische Sprache, die sie für ihre Wegbeschreibungen entwickeln müssen, fordert sie heraus, poetisch zu denken statt technisch; und die Teilnehmenden müssen gemeinsam aushandeln, welche Bilder ihren Weg am besten tragen. Dadurch entstehen nicht nur kreative Ausdrucksformen, sondern auch echte Teamprozesse, in denen eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis wachsen. Ganz nebenbei trainieren die Gruppen ihre Orientierungskompetenz. Am Ende verwandelt sich die Umgebung in einen erzählerischen Raum voller Details, die sonst leicht übersehen werden. Traumpfade verbinden Naturerleben, Sprache und Zusammenarbeit zu einer kraftvollen Lern- und Entdeckungsreise.
Material: Papier, Stifte, optional Klemmbretter
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